Chronik

41 Erschöpft: Joachim Barth (v. l.), Fritze Schmidt, Michael Lüttge, liegend Marcus Finke. Entsetzt: Fritze Schmidt (vorne), Marcus Finke, Elke Meyer. pfiff machte Ebbe Sand auf Vorlage von Emile Mpenza mit dem 5:3 alles klar (90.). Nur 40 Sekunden später traf Sergej Barbarez in Hamburg tatsächlich zum 1:0 für den HSV gegen die Seppels. Dann dachte ich, wir haben es geschafft: „Deutscher Meister!“ Von Premiere wurde bestätigt, dass das Spiel in Hamburg aus ist. Ich schaute zu Dietmar Schlüter rüber. Er sagte mit Radioknopf im Ohr: „Was labert ihr für eine Scheiße, hier auf WDR 2 ist das Spiel noch nicht zu Ende.“ Ich wollte auch schon, wie viele andere, auf den heiligen Rasen stürmen, um das Wunder zu feiern. Dann kam die Live-Übertragung aus Hamburg direkt auf der Anzeigetafel im Parkstadion. Es wurde tatsächlich noch gespielt. Wir drückten den Hanseaten die Daumen. Ausgerechnet der Ex-Schalker Mathias Schober nahm einen zweifelhaften Rückpass mit der Hand auf. Indirekter Freistoß – Ich betete zu Gott: “Hau das Ding vorbei!“, aber Patrick Andersson traf in der 92. Minute zum 1:1. Der FC Bayern holte sich mit einem Punkt Vorsprung die„Deutsche Meisterschaft“. Ich schrie nur noch: “Scheiße! Das darf doch nicht wahr sein! Das ist doch nicht live, sondern nur eine Wiederholung.“ Ich sah die Bilder, als Olli Kahn an der Eckfahne jubelte, versteinert an und war fassungslos. Wir waren für 4 Minuten und 38 Sekunden„Deutscher Meister“ oder Meister der Herzen (Schmerzen). Die Bazis holten sich in buchstäblich letzter Sekunde den Titel. Ich habe Rotz undWasser geheult. Ich war leer und enttäuscht. Ich fragte mich, warum ließ der ScheißSchiri Merk so lange nachspielen und wieso hatte der Schober das Ding nicht einfach weggekloppt. Ich sah nur noch blankes Entsetzen bei allen Fans im Stadion. Im Parkstadion spielten sich ergreifende Szenen ab. Die Schalker Mannschaft präsentierte sich über 50.000 Anhängern auf der Ehrentribüne. Mike Büskens weinte hemmungslos, ebenso Oliver Reck. Mit „You’ll never walk alone“ machten die Anhänger ihrer Mannschaft eine Liebeserklärung, die auch Trainer Huub Stevens rührte. Zu allem Überfluss startete noch ein Feuerwerk, dass für das letzte Spiel im Parkstadion geplant war. Ich selbst wusste gar nicht mehr, wie ich den Weg zurück zum Bus gefunden habe. Beim Rückmarsch zum Busparkplatz habe ich noch Ebbe Sand getroffen. Er kam gerade aus dem Stadion und wollte zu seinem Auto gehen. Man sah ihm noch immer die Enttäuschung und die Tränen im Gesicht an. Er sagte nur: “Wir müssen nach vorne schauen. Es kann nur noch besser werden beim Pokalendspiel in Berlin.“ Es war nur noch schrecklich, und als ich zum Bus kam, konnte ich mich nicht mehr zusammennehmen. So viele weinende Menschen habe ich noch nie gesehen. Ich habe eine ganze Zeit nur geheult wie ein kleiner Junge, der gerade eine Tracht Prügel bekommen hatte. Meine Frau Susanne konnte mich eine Weile später wieder trösten, aber es ging mir alles sehr nah. Einige hatten sich den Frust schon runtergespült, andere waren nur noch enttäuscht. Obwohl der Tag so beschissen endete, war es ein besonderer Tag, den man nie vergisst. Das Pokalendspiel haben wir eine Woche später mit einigen Mitgliedern live in Berlin gesehen. Wir sind mit einem Bulli angereist und hatten einen tollen Tag. Nach der Enttäuschung war es unglaublich wichtig, dass wir etwas zu feiern hatten. Das Scheitern im Titelrennen spukte mir allerdings immer noch im Kopf herum. Außerdem dachte ich: “Oh, gegen (Eisern) Union Berlin, hoffentlich gibt es hier nicht noch was auf die Fresse!“ Aber wir haben uns dort mit einigen Fans unterhalten und eine Menge Spaß gehabt. Viele haben uns noch ihr Mitleid zur verpassten Meisterschaft ausgesprochen, denn die meisten Berliner haben es den Bayern auch nicht gegönnt. Unser Lied in Berlin war immer wieder: „Schiebt den Bayern die Schale in den Arsch!“ Wir dachten natürlich oft daran, nicht noch mal nur zweiter Sieger zu werden. Die Mannschaftsaufstellung (mit Torschützen) FC Schalke 04 – 1. FC Union Berlin 2:0 (0:0) Tore: 1:0 Böhme (53.), 2:0 Böhme (58., Foulelfmeter) FC Schalke: Reck; Hajto, Nemec (84. Thon), van Kerckhoven (88.Büskens), Asamoah (80. Latal), Oude Kamphuis, van Hoogdalem, Böhme, Möller, Sand, Mpenza. Zum Glück haben wir den Pokal in den Pott geholt, denn noch so eine Niederlage hätte ich als treuer Schalke-Fan nicht überstanden. Schön, dass der Fußballgott zumindest mal wieder kurz bei uns vorbeigeschaut hat. Holger Finke

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