Chronik

112 Schalke-Fanclub Hille kümmert sich um Gründer Wolfgang Stratenwerth NORDKURVE Blau und Weiß ein Leben lang! Wenn im Altenpflegeheim in Hille vor einem Schalker Heimspiel der Briefträger klingelt, spitzen die Mitarbeiter in der beschaulichen Gemeinde zwischen Minden und Lübbecke die Ohren. Jetzt ist schnelles Handeln angesagt. Schließlich überbringt der Zusteller mit der Tagespost stets auch eine besonders wertvolle Fracht für einen ungewöhnlichen Heimbewohner: den Schalker Kreisel. Adressat ist Wolfgang Stratenwerth. In wenigen Wochen vollendet er sein 81. Lebensjahr. In seinem Zimmer stapelt sich Musik von Mozart und Beethoven neben der des Ruhrpott-Barden Erwin „Ährwin“ Weiß und der königsblauen Hausband Florians. Seit einigen Jahren ist der ehemalige Grundschullehrer und eingefleischte S04Anhänger auf die Betreuung durch die Pflegeeinrichtung angewiesen. Weil seine Gesundheit nicht mehr so mitmacht, ist der direkte Draht zur Vereinsfamilie für ihn seitdem noch wichtiger geworden. Um stets informiert zu sein, lässt sich Stratenwerth seine Lieblingslektüre direkt in sein neues Zuhause liefern. Schließlich ist auch im hohen Alter die Begeisterung für die Knappen ungebrochen. Immer dabei: seine Kutte, die er in jahrzehntelanger Fankarriere zusammengestellt hat. Im Seniorenheim natürlich ein Unikat. „Genau wie unser Wolfgang selbst“, sagt Andreas Mayer lachend. Der Geschäftsführer von „Wir lassen die Sau raus Hille“ besucht mit seinen Vorstandskollegen den Namensgeber und ehemaligen Vorsitzenden des 1989 gegründeten Schalke-Fanclubs regelmäßig und holt ihn zu allen Veranstaltungen der Hiller ab. Es mag ein günstiger Zufall sein, dass die Vereinskneipe nur wenige hundert Meter vom Pflegeheim entfernt liegt. Eine Wegstrecke, die der gehbehinderte Schalker an guten Tagen sogar noch selbst zu Fuß zurücklegen kann. Ohne die mit S04-Aufnähern übersäte Jeansweste, die er wie seinen Augapfel hütet, geht Stratenwerth dann nie aus dem Haus. Aber der Mann war offenbar schon früher ein Trendsetter. Lange bevor in Gelsenkirchen das Schalker Fanprojekt eingerichtet wurde, betrieb der 370 Mitglieder zählende Fanclub durch Stratenwerth bereits pädagogische Fanbetreuung. Wenn auch bisweilen etwas unorthodox. In den frühen 1990er-Jahren ließ der damalige Konrektor der Grundschule Nordhemmern schon mal ein gelbes neben einem blauen Pappschwein aufstellen, um zu verdeutlichen, dass sich im Grunde beide Vereine doch sehr ähnlich sind. Auch Eurofighter Yves Eigenrauch, der aus Minden stammt, bekam bei Sommerfesten und Weihnachtsfeiern im Fanclub stets „Asyl“, wenn er sich in der Nähe der Heimat eine private Rückzugsmöglichkeit schaffen wollte. „Dass Yves dann gerne mal Zigaretten der Marke ,Camel ohne Filter’ qualmte, dürfen wir heute ja verraten“, flüstert Mayer mit einem breiten Grinsen. Die Idee mit dem Schwein auf der Fahne des bis heute aktiven und umtriebigen Fanclubs geht ebenfalls auf das Konto Stratenwerths. „Das Emblem hat er damals in der Schule auf einen Diaprojektor gelegt und dort zum Entsetzen des Lehrerkollegiums malen lassen“, erzählt Mayer. Inzwischen ist die pralle Sau, die auch einem Werbefilm der Fleischerinnung entstammen könnte, ein wenig geliftet worden. Das Fanclub-Motto gilt jedoch weiter. Wenn Ende Januar die Jahreshauptversammlung ansteht, wird Stratenwerth wie immer mittendrin statt nur dabei sein. „Er wird stets ein Teil von uns bleiben, auch wenn er seit vielen Jahren nicht mehr die Spiele besuchen kann“, betont Andreas Mayer. Nicht umsonst lautet das zweite Credo der Sau-Rauslasser seit nunmehr fast 25 Jahren: „Wir wollen uns Freunde machen und niemandem vor den Kopf stoßen.“ ■ Weitere Infos auf wir-lassen-die-sau-raus.de MIT KUTTE UND KREISEL IM SENIORENHEIM Alte Liebe: Wolfgang Stratenwerth war jahrelang Vorsitzender des Fanclubs „Wir lassen die Sau raus" in Hille (rechts beim Rundgang im Parkstadion). 92

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